Themenstrang: »Gesellschaft«

Referent_in: Artur Brückmann

Tag/Zeit: Freitag, 14.9.2018, 10:00–12:00 Uhr

Rudi Dutschke begriff das Studium als »Möglichkeit, sich durch intensive Anstrengung von den durch Vergangenheit und Erziehung verinnerlichten fremden Herrschaftsinteressen zu befreien, die spezifisch menschliche Verstandestätigkeit in sprengende Vernunft gegen die bestehende Gesellschaft zu transformieren« (Mai 1967). So ist Bildung die (kollektive) Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten. Mit sozialistischem, antifaschistischem und friedenspolitischem Impetus erkämpften die 68er eine Demokratisierung und soziale Öffnung der Hochschulen, eine Politisierung der Wissenschaft (»Marx an die Uni«) und eine Verwissenschaftlichung (Projektstudium) sowie soziale Sicherung (BAföG) des Studiums.

50 Jahre Klassenkampf um die Hochschulen später, befinden wir uns in der Welt der »Unternehmerischen Hochschule«, des Bachelor-Master-Systems und der strukturellen Unterfinanzierung. Der heutige akademische Kapitalismus (R. Münch) ist gekennzeichnet durch soziale Prekarität, Creditpoint- und Drittmittelabhängigkeit, Refeudalisierung der Organisationsstruktur, Leistungsdruck und Konkurrenz sowie die organisierte Belanglosigkeit von Postmoderne bis Positivismus. Auf subjektiver Seite bedeutet dies einen Habitus subalterner Konformität und die epidemische Ideologie der »Eigenverantwortung«.

Es brodelt an den Hochschulen in der BRD: Studiengebühren sind bundesweit wieder abgeschafft, zaghafte Demokratisierungen einiger Hochschulgesetze errungen, 36 neue Zivilklauseln allein im Jahr 2015 eingeführt und Tausende haben sich jüngst gegen die sog. »Exzellenzstrategie« positioniert. Die unternehmerische Hochschule ist ideologisch erschöpft. Das Neue ist aber noch nicht auf der Welt. Es herrscht ein systematischer »doublespeak« [1].

Laut BARMER Arztreport 2018 ist jede/r sechste Studierende von einer psychischen Diagnose betroffen. Als Reaktion entsteht ein großes Angebot an (psychologischer) Beratung, Therapie, Workshops und Choachings, die eher Teil des Problems als Teil der Lösung sind. Sie zielen auf das »Wegdressieren umrissener Symptome, die Beseitigung herausgehobener ‚Defizite‘ zum Zwecke des besseren Funktionierens unter den gegebenen Verhältnissen« (Ute Osterkamp, 1978).

Vor diesem Hintergrund wollen wir uns im Workshop anhand eines Thesenpapiers fragen: Wie können wir das psychische Leiden (und die Funktion von Beratungsangeboten) im heutigen Studium Bolognese (kritisch-psychologisch) verstehen? Wie entwickeln wir die Hochschule zur progressiven gesellschaftlichen Akteurin? Was können wir dafür von der (hochschulpolitischen) Praxis der Kritischen Psychologie (im BdWi) lernen? Wie gelingt emanzipatorische Organisierung an den Hochschulen in Gegnerschaft zur neoliberalen »Privatisierung der Hoffnung«? Wie erarbeiten wir uns Manövrierfähigkeit für eine Wissenschaft als »Kritik zur Durchsetzung des menschlichen Erkenntnisfortschritts im Interesse aller Menschen gegen die bornierten Interessen der Herrschenden an der Fortdauer menschlicher Fremdbestimmung und Unmündigkeit.« (Klaus Holzkamp, 1983)

Hintergrund:

Holzkamp, Klaus (1977): »Die gegenwärtige Situation an den Hochschulen und die Notwendigkeit einer Wende in der Hochschulgesetzgebung und Hochschulfinanzierung«, [Referat auf der hochschulpolitischen Konferenz des BdWi am 25. November 1977 in Hamburg]; in: Schriften VI: Kritische Psychologie als Subjektwissenschaft (S. 400-415)

[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/wissenschaftler-gegen-exzellenzinitiative-14249500.html

Ferienuni Kritische Psychologie 2018 using Theme Adventure by Eric Schwarz adapted by Stefan Meretz
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