Individuelle Lebensgeschichten, kollektive Dimensionen von Erfahrung und gesellschaftliche Realität
Autobiographische Äußerungen sind ein selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen menschlichen Zusammenlebens. In Alltagsgesprächen zwischen Menschen werden Erlebnisse und Erfahrungen geteilt, beim Kennenlernen oder Wiedersehen erzählen Menschen sich Geschichten aus ihrem Leben, nehmen so Anteil am Leben anderer, holen sich und geben Rat in verschiedenen Lebenssituationen. Ende des 19.Jahrhunderts erleichterte vor allem die Erfindung und stetige Weiterentwicklung von Tonaufzeichnungsgeräten den Einzug von autobiographischen Äußerungen auch in den wissenschaftlichen Kontext. Vor allem mit Hilfe von aufgezeichneten und transkribierten narrativ-biographischen Interviews war es nun möglich, die
unterschiedlichsten sozialen Gruppen mit ihren konkreten Lebensverhältnissen und mit ihrer kollektiven Geschichte zu Wort kommen zu lassen. Das transkribierte Wort konnte systematisch analysiert und interpretiert werden.
In der Kritischen Psychologie taucht Biographieforschung allerdings bisher nur marginal auf, obwohl eigentlich gerade die Kritische Psychologie als marxistische Subjektwissenschaft Kategorien zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe die Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft begrifflich gefasst und aktualempirisch analysiert werden kann. Es wurden so zwar wesentliche Überlegungen zur menschlichen Biographie entwickelt, aber der Versuch, einen subjektwissenschaftlichen Biographieforschungsansatz zu entwickeln, wurde noch nicht unternommen.
In dieser Veranstaltung möchte ich ausgehend von Holzkamps Unterscheidung zwischen »Phänomenal-« und »Realbiographie« und unter Bezugnahme auf andere erziehungs- und bildungswissenschaftliche Biographieforschungsansätze erste Überlegungen zu einer möglichen subjekwissenschaftlichen Herangehensweise an Biographieforschung vorstellen und mit euch diskutieren.
Vorkenntnisse in Bezug auf »Grundkonzepte« der Kritischen Psychologie sind von Vorteil, aber nicht Voraussetzung.